Motorradreise durch Ladakh 2021: einfach atemberaubend | MOTORRADonline.de

2022-09-17 12:09:07 By : Ms. Miranda Wei

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Im August kippt der Monsun unvorstellbare Wassermassen über Indien. Nur in Ladakh, weit im Norden, zwischen den Berggiganten von Himalaja und Karakorum, ist es trocken. Meistens. Eine Region, die dir den Atem raubt. Was nicht nur an den höchsten Pässen des Planeten liegt.

Manche Ideen sind echt blöd. Da sind wir gerade in Leh, der Hauptstadt ­Ladakhs auf 3.500 Meter Höhe an­gekommen, und Birgit will gleich ­hinauf zur Shanti Stupa. Wegen der grandiosen Aussicht. Sind doch nur 560 Treppenstufen. Sagt Birgit. Widerspruch zwecklos. Jede einzelne Stufe tut weh, die Lunge japst nach Sauerstoff, der sich auf dieser Höhe spürbar dünn macht. Im Schneckentempo quälen wir uns hoch, soll ja gut fürs Akklimatisieren sein. Nun ja. Aber wir werden ­belohnt, staunen schließlich von dort oben in ­eine völlig fremde Welt, über das grüne Indus-Tal zu den verschneiten 6.000ern der Stok-Range und in die wüstenhaften Bergkämme im Osten, als Blickfang die uralte Gompa Namgyal Tsemo, vom starken Abendlicht bestens in Szene gesetzt. Ein entrücktes Panorama, fast zu schön, um wahr zu sein. Was für ein Einstieg in unsere Ladakh-Reise!

Drei Tage später, wir haben uns prima an die Höhe gewöhnt, ist unsere kleine Gruppe komplett. Acht Deutsche, dazu der junge Guide Aqib, Mechaniker Pawen und Gonchuk, der den Begleitwagen fährt. Vor dem Hotel parken neun schwarze Royal Enfield Bullets, rustikale 500er-Einzylinder mit 60er-Jahre-Charme, allesamt sichtbar eingefahren. Wenn neun Bullets im Innenhof des Hotels zum Leben erwachen, dann bebt die Erde. Raus aus Leh, vorsichtiges Anfreunden mit der ungewohnten Maschine. Fahren wie damals: entspannte Sitzposition, die Fußrasten ziemlich weit vorne, die Schaltwippe ist anfangs etwas tricky, der betörende Sound – garantiert nicht Euro-5-kompatibel – und dann der Motor! Gesegnet mit reichlich Schwungmasse und maximaler Dosis an Charakter. Weichgespült ist hier nix. Ist das der Beginn einer wundervollen Freundschaft?

Schon bald liegt Leh hinter uns, riesige Kasernen am Stadtrand, Lärmterror von startenden Kampfjets, Stacheldrahtzäune mit klaren Warnungen: "Trespassers will be shot dead." Das ist die Kehrseite dieser spannungsgeladenen Region zwischen den Atommächten Indien, China und Pakistan. Ein fetter Kloß im Bauch. Aber die Enfield massiert ihn mit ihrem beruhigenden Puls einfach weg, meditatives Fahren mit 80 Sachen durch das weite Tal des Indus, karge Berge in allen Brauntönen, ein unwirklich blauer Himmel, ab und an ein verschneiter Gipfel am Horizont. Schmelzwasser von den Gletschern des Karakorum färben den Indus vollmilchschokoladenbraun. Mal strömt der mächtige Fluss ruhig dahin, dann wiederum tost und schäumt er über angsteinflößende Stromschnellen mit drei Meter hohen Wellen. Ist das schön hier!

Abends im Zeltcamp von Dha erzählt Aqib, warum es seit drei Tagen weder Netz noch Internet gibt. Die indische Regierung eskaliert den Kaschmir-Konflikt, hat der muslimischen Region ihren autonomen Status aberkannt, die Grenzen geschlossen und alle Kommunikationsnetze abgeschaltet. Eine politische Zensur. So einfach kann man Menschen von jeglicher Information abschneiden. Erschreckend. Tags darauf verwehrt uns eine der vielen Militärkontrollen die Weiterfahrt nach Kargil in Kaschmir, obwohl Aqib alle notwendigen Permits parat hat. Rigoros, ohne eine Chance zu diskutieren. Was nun? Wir müssen umkehren, Aqib organisiert die Alternativroute, sucht nach freien Hotels. Wir klettern mit den Motorrädern über den 4.108 Meter hohen Fotula-Pass, erreichen abends Lamayuru. Uralte Lehmhäuser ducken sich unterhalb des mächtigen und uralten Klosters. Dahinter staffeln sich bizarre Berge im schönsten Licht. Was für ein grandioses Bild! Ein Ort der Ruhe, des Friedens und der Spiritualität, die wir im Inneren des Klosters hautnah spüren. Meilenweit entfernt von den Wirren der politischen Gegenwart.

Aqib hat inzwischen unseren Fahrplan umgestrickt, will zurück nach Leh, was nicht jedem gefällt. Aber dann lockt der Khardung La, mit seinen 5.602 Metern wird er oft als höchster Pass der Welt gehandelt. Bestens akklimatisiert verlassen wir frühmorgens Leh, passieren zwei Militärkontrollen und folgen dem wüstenhaft kargen Tal bergwärts. Finstere Wolken hängen in den Bergen, es riecht nach Schnee. Das GPS am Lenker tickert die Höhenmeter aufwärts. Bald weicht der Teer einer rauen Piste mit fetten Steinen, tiefen Furchen und undurchsichtigen Pfützen. Im Gegensatz zu uns ist die Enfield gar nicht aufgeregt, stoisch bollert sie immer höher. 4.500, 5.000 zeigt das GPS, die Höhe scheint ihr nichts auszumachen. Wer weiß, wie oft sie diesen Weg schon geschafft hat. Ihre Leistung auf dieser Höhe? Nun, noch ausreichend.

Noch eine Kurve, und wir sind oben, das GPS zeigt 5.375 Meter an. Puh. Was ist denn hier los? Menschenmassen, locker 100 Motorräder, sicher das höchste Enfield-Treffen des Universums. Sogar ein paar Radfahrer haben sich hier hochgequält. Respekt! Alle wollen ihr Selfie vor dem berühmten gelben Khardung-La-Schild machen, Inder lieben Selfies. Weder der frische Schnee noch der eisige Wind scheinen irgendwen zu stören, Jahrmarkt-Stimmung. Und wo ist unsere Einheit? Ist längst auf dem Weg ins Nubra-Tal zum Hotel, das erste Bier des Tages lockt. Birgit und ich lassen uns Zeit, kommen bestens mit dieser Höhe klar und wissen, dass Gonchuk mit dem Besenwagen hinter uns bleibt, unauffällig, geduldig, immer lächelnd, egal wie oft wir zum Fotografieren und Staunen anhalten. Danke dafür!

Schließlich treibt uns ein Hagelschauer hinunter ins Tal des Shyok-River zum Hotel in Diskit. Tags darauf folgen wir dem wilden Gletscherfluss 100 Kilometer talabwärts bis kurz vor die pakistanische Grenze. Weiter geht es nicht. Wieder ist die Landschaft spektakulär, aber ganz anders: unerwartete Sanddünen, über die Kamele wandern, schroffe, dunkle Felsberge des Karakorum auf der Nordseite des Tals, ockerfarbene, rundliche 5.000er auf der Südseite. Der K2, zweithöchster Berg der Erde, ist kaum 150 Kilometer entfernt, zu sehen ist er aus dem Tal leider nicht. Die zerklüftete und verschneite Pyramide des K25, immerhin 6.518 Meter hoch, muss uns als Einblick in die Welt des Karakorum reichen. Kleine, urige Dörfer in grünen Oasen, Abklatschen mit lachenden Kindern, neugierige Blicke, so weit rein ins Tal fährt nur selten ein Tourist. Was auch an der bisweilen anspruchsvollen Strecke mit einigen Furten liegt.

Zurück in Diskit diskutieren wir die weitere Strecke. Die Gruppe würde gerne den direkten Weg zum Pangong-See fahren, eine abenteuerliche und vielversprechende Piste durch das menschenleere Hochland, die Gonchuk für durchaus fahrbar hält, und die uns den unbeliebten Umweg über Leh ersparen würde. Er kennt den Weg. Aqib aber nicht, er bleibt lieber auf bekannten Strecken, lässt sich nicht überreden. Und er ist der Boss. Also klettern wir nochmals hinauf zum Khardung La – wieder macht der Pass mächtig Spaß – übernachten abermals in Leh und tanken die Enfields für den Weg zum Pangong auf. Meine hat nur 2,7 Liter auf 100 Kilometer durch den Vergaser gesaugt, ein sensationeller Wert auf diesen Straßen in dieser Höhe. Respekt vor der scheinbar überholten Technik des alten Einzylinders.

Unter tiefgrauem Himmel verlassen wir frühmorgens Leh, peilen den Chang La an. Noch so ein fordernder 5.000er-Pass. Schön. Karge Berge begleiten die anfangs noch gute Straße, die in weiten Schleifen an Höhe gewinnt. Bis der Teer endet, in eine raue und zerfurchte Piste übergeht. Enduro-Revier. Löcher, Querrinnen, trübe Pfützen, ein fieser Schlam(m)assel im einsetzenden Schnee­regen. Der Pass steckt im Nebel, das GPS zeigt 5.380 Meter Höhe. Nichts ist hier schön, schnell ein paar Fotos machen und weiter. Ins Tal nach Tangste, ein kleiner Ort ohne jeglichen Charme auf 3.900 Meter Höhe. Ladakh verschiebt die gewohnten Dimensionen. Ein heißer Tee tut gut, leckere Pfannkuchen wecken die Lebensgeister, Hände und Füße am rustikalen Ofen wärmen, der mit Yak-Dung gefüttert wird.

Und weiter, über die lehmig-rutschige Spur, ein paar harmlose Furten sorgen für Adrenalinschübe, bunte Berge schälen sich aus dem Dunst. Und plötzlich liegt der 130 Kilometer lange Pangong-See vor uns, 4.300 Meter über dem Meer. Der Himmel reißt auf, Sonnenstrahlen glitzern auf unwirklich türkisem Wasser des Sees, über den gelb-rot-braunen Bergen am anderen Ufer ziehen tiefschwarze Wolken nach Osten, Richtung Tibet. Was für eine betörend schöne Landschaft, was für eine riesige Belohnung für die quälenden Kilometer, die hinter uns liegen! Urplötzlich wendet sich die Stimmung von frostiger Depression in maximale Begeisterung.

Ladakh ist der Hammer, besonders aus dem Sattel einer Enfield. Gut, dass wir dieses Abenteuer gewagt haben. Manche Ideen sind echt klasse.

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